Die Götter von Sumer: Pantheon der Fremden

Die sumerischen Texte schildern die Annunaki nicht als gesichtslose Mächte, sondern als ein strukturiertes Pantheon mit klaren Rollen. An der Spitze stand Anu, der Himmelsgott, dessen Name selbst "Himmel" bedeutete. Er war der höchste Richter, der die Ordnung überwachte, auch wenn er selten direkt in das Leben der Menschen eingriff. Unter ihm traten seine Kinder hervor, die eigentlichen Akteure des Geschehens auf Erden.

Enlil, "Herr des Windes", galt als einer der mächtigsten. Er war streng, autoritär, und in vielen Mythen derjenige, der die Menschheit maßregelte oder bedrohte. Er entschied über Katastrophen, bestimmte Schicksale und sprach Recht über Könige. Sein Gegenspieler war oft Enki, auch bekannt als Ea – der Gott des Wassers, der Technik und der Weisheit. Während Enlil die Menschheit eher als Last betrachtete, wurde Enki in den Mythen zum heimlichen Verbündeten der Menschen. Er war es, der ihnen Wissen gab, der sie vor der Sintflut warnte und der gegen den Willen der anderen Götter ihre Existenz schützte. In dieser Polarität zeigt sich ein tiefes Muster: Strenge und Herrschaft auf der einen Seite, List und Unterstützung auf der anderen.

Neben ihnen trat Ninhursag, die Muttergöttin, auch "Herrin des Berges" genannt. Sie war die Schöpferin, die Leben hervorbrachte, Göttin der Geburt und der Natur. In manchen Texten war sie direkt beteiligt, als die Menschen erschaffen wurden – nicht als gleichwertige Partner, sondern als Diener, die den Annunaki Arbeit abnehmen sollten. Die Vorstellung, dass der Mensch geschaffen oder genetisch angepasst wurde, zieht sich wie ein roter Faden durch die sumerische Überlieferung.

Eine weitere zentrale Figur war Inanna, später bei den Babyloniern als Ishtar bekannt. Sie verkörperte extreme Gegensätze: Göttin der Liebe und Fruchtbarkeit, aber auch des Krieges und der Zerstörung. Sie trat auf wie eine unberechenbare Macht, deren Einfluss sowohl segensreich als auch tödlich sein konnte. Ihre Präsenz in den Mythen ist nicht die einer fernen Göttin, sondern die einer realen Herrscherin, die Entscheidungen trifft, Intrigen spinnt und Kriege führt.

Neben diesen Hauptgestalten existierte ein ganzer Hofstaat: Utu (Shamash), der Sonnengott, Hüter des Rechts und Lichtbringer, und Nanna (Sin), der Mondgott, Herr der Zyklen und der Zeit. Zusammen bildeten sie ein Netzwerk von Mächten, das die Welt ordnete und zugleich in menschliche Geschicke eingriff.

Die Sumerer schilderten diese Götter nicht abstrakt. Sie waren konkret, handelten, stritten, liebten, vernichteten. Sie entschieden über Fluten, über Königreiche, über das Überleben ganzer Städte. Für die Menschen waren sie allgegenwärtig – nicht ferne Ideale, sondern Wesen, die unter ihnen wandelten.

So zeigen die Keilschrifttafeln nicht nur ein frühes Pantheon, sondern auch das Bild einer fremden Herrschaft, in der die Annunaki als Lehrer und Richter auftraten, aber zugleich auch als Rivalen und Kriegsherren. Sie waren die Götter von Sumer – doch ihr Wirken trägt Züge, die mehr an ein strukturiertes Kollektiv von Besuchern erinnern als an reine Mythen. Kein Donner, kein Blitz – nur ein Hofstaat aus himmlischen Herrschern, der den Menschen Zivilisation brachte und ihnen zugleich das Gefühl gab, nie allein gewesen zu sein.

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