Lage und Geographie V: Europa und alte Sagenwelten 

Auch Europa ist durchzogen von Geschichten über Eingänge in die Tiefe, und obwohl hier die Landschaft dichter besiedelt und seit Jahrhunderten erforscht ist, haben sich zahlreiche Legenden gehalten, die auf ein verborgenes Reich unter der Erde hinweisen. In Deutschland ist es vor allem der Kyffhäuser, in dessen Berg Kaiser Friedrich Barbarossa schlafen soll, bis er eines Tages zurückkehrt, um das Reich zu retten. Diese Legende fügt sich nahtlos in das Motiv der "Schlafenden" ein, das auch in Tibet oder im Himalaya auftaucht – Herrscher und Helden, die nicht tot sind, sondern in einem unterirdischen Zustand der Stasis verharren.

In Irland sind es die Feenhügel, die sogenannten Sidhe, die als Eingänge in andere Welten gelten. Die keltische Überlieferung beschreibt diese Orte als Tore zu Reichen, die unter der Erde liegen und von fremdartigen Wesen bewohnt werden, die nicht unbedingt freundlich, aber hoch entwickelt sind. Auch Island kennt ähnliche Vorstellungen: unter den Vulkanen sollen Wesen wohnen, die im Inneren der Erde ihre Hallen haben, und deren Stimmen man in den Grollen des Bodens hören kann.

Die Alpen tragen ebenfalls ihren Teil zu diesen Mythen bei. In den österreichischen und bayerischen Überlieferungen existieren Geschichten von Zwergen, die in unterirdischen Städten leben und den Menschen manchmal Wissen oder Schätze bringen, manchmal aber auch Unheil. Diese Zwerge könnten mythologische Erinnerungen an unterirdische Völker sein, die sich im Inneren zurückgezogen haben. In der Schweiz gibt es Legenden von Seen, die "bodenlos" seien, weil sie durch Kanäle mit verborgenen Wassern verbunden sind.

In Osteuropa berichten slawische Sagen von Städten, die im Boden versunken sind und nur bei besonderen Gelegenheiten wieder auftauchen. In Tschechien erzählt man vom Berg Blaník, in dem ein Heer schläft, das eines Tages zurückkehren wird. Auch hier kehrt das Motiv der Bewahrer im Inneren zurück, das weltweit in ähnlicher Form existiert.

Europa wirkt damit wie ein Mosaik kleinerer Eingänge und Erinnerungen. Kein einzelner Ort dominiert das Bild wie in Tibet oder den Anden, doch überall tauchen dieselben Muster auf: schlafende Herrscher, unterirdische Völker, heilige Hügel, bodenlose Seen. Zusammengefügt ergibt sich ein Bild, das die alte Welt mit denselben Mythen durchzieht wie die neue. Kein Donner, kein Blitz – nur die Stimme der Sagen, die uns zuflüstern, dass auch in Europa die Tiefe nicht leer, sondern bewohnt ist.

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